Seit Tagen schleppe ich dieses Thema mit mir herum. Und zunächst wollte ich darüber gar kein Wort verlieren. Aber in diesen Stunden tröpfelte es dann doch aus mir heraus.
Aber ich bin ja auch kein Ultra. Der vom königsblauen Pendant immer verhauen wird…
Was soll das?
Es kam mir in den Sinn, nachdem ich am Wochenende die beiden (erneuten) Statements aus unserem Fanlager gelesen hatte.
Einerseits einen Kommentar des Club Nr.12 Vorstands, andererseits einen Bericht der Schickeria.
Man fühlte sich ob der inzwischen medialen Übermacht zu derlei genötigt. Also noch einmal Stellung zu beziehen und die eigenen Beweggründe herauszuarbeiten.
Für mich unterscheiden sich diese beiden Beiträge zur aktuellen Problematik rund um den FC Bayern. Und zwar massiv.
C12 differenziert.
Der Großteil der Fans […] die beim letzten Heimspiel ihren Unmut auf verschiedensten Wegen und Niveaustufen zum Ausdruck brachten, wollten gegen eine Entscheidung des Präsidenten oder des Vorstands demonstrieren, und nicht gegen den Präsidenten selbst.
und weiter…
Um die Unterstützung für Uli Hoeneß zu belegen, hätte eine einzige Zahl gereicht: 99,3. Neunundneunzigkommadrei Prozent der Mitglieder haben Uli Hoeneß vor eineinhalb Jahren zum Präsidenten gewählt. Natürlich weiß man nicht, wie die nächste Wahl ausgeht. Es ist nicht auszuschließen, dass es mal ein paar Prozent weniger werden. Aus den Protesten von vor zwei Wochen aber abzuleiten, ein Teil der Fans würde am Stuhl des Präsidenten sägen, versuchen an mehr Macht zu gelangen oder eine Revolution nach nordafrikanischem Vorbild stünde kurz bevor, erscheint doch sehr weltfremd. Zumindest die Fanbetreuung des FC Bayern, die ja sehr nah am Puls der Südkurve sein sollte, hätte der Vereinsführung berichten müssen, dass der Ursprung der Proteste ganz andere Gründe hatte: Die Enttäuschung darüber, dass der Lokalrivale ein weiteres mal auch durch die – zumindest passive – Unterstützung des FC Bayern vor der Insolvenz gerettet wurde, obwohl Präsident und Vorstand vor einem halben Jahr aus Sicht der Fans anderes angekündigt hatten.
Für mich hört sich das ganz anders an, als alles andere, was ich aus der „Fanecke“ bislang vernommen habe. Damit kann sogar ich ganz gut umgehen, denn schließlich bin auch ich nicht ganz Vorstandskritikfrei.
Diesen Kommentar las ich zuerst und war schon wieder viel versöhnlicher gestimmt. Gegenüber diesem Teil unserer Fans.
Dann aber die Zeilen der Schickeria.
Alles ganz nett und höchst ausführlich. Auch in einer Wortwahl, die man konstruktiv nennen konnte. Zunächst. Im oberen Teil. Aber der Reihe nach.
Manchmal habe ich den Verdacht, dass hier ganz bewusst und explizit versucht wird, unter allen Umständen den Eindruck zu vermeiden, man könnte sprachlich nicht mit den sogenannten „richtigen“, „klassischen“ Medien mithalten. Viele Sätze wirken da extrem angestrengt, übertrieben ausformuliert. Aber das ist nur mein persönlicher Eindruck.
Des Weiteren versucht man den Eindruck zu erwecken, dass man auf Differenzierung wert legt. Also der eigenen Position, nicht die der anderen.
Woran ich das festmache?
An solchen Sätzen (Hervorhebung von mir):
Keine Frage, all diese Leute sind der Club und sie sind – in bestimmten Dingen – wichtig. Aber andere sind es eben – in bestimmten Dingen – auch. Eine Fankurve und ihren harten Kern oder auch einen langjährigen Fan auf der Tribüne kann man nicht mit einem bloßen Zuschauer im Stadion oder vor dem TV gleichsetzen – ihnen gebührt im Konstrukt des Vereins die gleiche Anerkennung, Wertschätzung und moralische Funktionalität wie beispielsweise einem Ehren- oder Ältestenrat.
Es wird auch über das Thema „Einfluss“ geredet. In diverse Richtungen.
Nun ja, um „Einflussnahme“ in Maßen auf die Vereinspolitik geht es zweifelsohne, um großartige „Machtinteressen“ eher weniger.
Einerseits. Andererseits:
Darum, in manchen Fällen dort ein „moralisches Veto“ einzulegen, wo die Manager des „modernen Fußballs“ über dem Tagesgeschäft das Gespür dafür verloren haben, wann es genug ist.
Nicht nur das. Sondern (wenn auch ein wenig schwammig):
Und vielleicht wollen sie auch in seltenen Ausnahmefällen einmal, dass bestimmte Personen NICHT Teil „ihres Vereins“, nicht Teil des großen Ganzen werden. Und zwar wegen Dingen, die diese Person betreffen und nicht deren Kompetenz oder Leistungsfähigkeit.
Kurz danach geht man in die Details.
Was ist das Problem der Südkurve mit dem Top-Torhüter Manuel Neuer?
Wohlgemerkt: „der Südkurve“ und nicht „der Schickeria“…
Nur ist die „Causa Neuer“ eben kein Durchschnitts- sondern ein äußerst seltener Spezialfall. Manuel Neuer war nicht nur irgendwie Schalke-Fan, der auch mal Spiele in der Kurve verfolgt hat, oder in irgendeinem Fanclub – Manuel Neuer IST Mitglied in der Buerschenschaft, welche zu den Ultras der Schalker Nordkurve gehört, also jenem harten Kern der Kurve, der durchaus auch mal militant und rabiat werden kann, wenn es um den FC Schalke oder die Freunde aus Nürnberg geht. Und das nicht, weil ihm am Trainingsgelände irgendeiner ein T-Shirt überreicht hat, sondern aus Überzeugung: Weil er mit den Jungs aufgewachsen ist, ein genauso fanatischer Schalker ist und sich auch in vollem Umfang dazu bekennt. An sich nichts Verwerfliches – nur passt er somit eben nicht nach München. Wie sollen die Fans in der Südkurve aus vollen Stücken jemanden anfeuern, von dem sie ALLE wissen, dass dessen beste Freunde in Auseinandersetzungen mit Leuten aus derselben Südkurve verwickelt und dieser in ausdrücklicher und tiefer Abneigung verbunden sind. Angesichts der Tatsache, dass Neuer eben nicht nur Fanleidenschaft honoriert, sondern selbst Teil der radikalen Fanbewegung ist – und das ganz bewusst.
Womit wir beim Thema Gewalt sind. Die Schickeria bewegt sich hier auf ganz dünnem Eis. Und deshalb ist dieses Argument für mich eher schwach. Mehr als schwach.
Noch andere Argumente?
Der junge Mann hat seine Provokation mit der Eckfahne damals nicht ohne Grund gemacht – es war ein Gruß an die Nordkurve, eine Geste für seine „Kumpels“. […] Manuel Neuer ist eine Provokation.
Naja. Wenn ich hier mal aufzählen würde, was für mich alles eine Provokation darstellt. Lassen wir das. Beim Thema 1860 geht es dann ebenfalls noch um Gewalterfahrungen.
Viele aus der Fanbasis verbinden mit dem Lokalrivalen eben auch ganz persönliche, oft generationenübergreifende Erfahrungen und Erinnerungen abseits grauer Theorie. Daran, dass ihnen vielleicht schon als kleinen Schuljungen in Giesing ganz reale blaue Steine hinterher geworfen wurden, dass sie und ihr Verein unzählige Male von Leuten, die nichts aber auch gar nichts vorzuweisen haben, aufs niederste vollgepöbelt wurden, dass die Blauen ihren Wiederaufstieg in die Bundesliga bei ihrem ersten Heimderby im Olympiapark mit brennenden Bayern-Kutten zelebrierten, vor allem aber, dass die Anhänger des Lokalrivalen keine eigene Identität besitzen sondern sich nur und ausschließlich über eine durch und durch prollige Anti-Identität gegenüber dem Aushängeschild dieser Stadt definieren und sich daher, obwohl sich eigentlich keiner für sie interessieren würde, ständig irgendwie an den FC Bayern ranhängen müssen um sich zu produzieren – und somit im ganz realen Alltag eben kurz gesagt hauptsächlich eines sind: Lästig, nervig und ÜBERFLÜSSIG!
So. Wer sich wundert, dass dieser Beitrag bisher fast nur aus Zitaten besteht, dem sei ans Herz gelegt, dass oft diese Zitate ja schon für sich wirken. Ich habe zu all diesen Dingen natürlich auch eine eigene Meinung und wer sich seinerseits eine Meinung über diese Statements bilden will, ganz ohne meine Selektion, dem seien die Direktlinks empfohlen.
Meine Meinung sieht folgendermaßen aus.
1. Wir leben in einem freien Land. Hier darf jeder seine Meinung sagen. Auch und gerade Fußballfans.
2. Die Form sollte dabei aber gewahrt bleiben. Ansonsten diskreditiert sich die Kritik schon im Ansatz selbst.
3. Wer Gewalt selbst als Mittel zum Zweck ansieht und sich nicht eindeutig genug von ihr distanziert, verliert die eigene Berechtigung bei diesem Thema mit zu diskutieren.
4. Alle Fans sind gleich. Aber manche Fans sind gleicher als gleich? Nicht auf meinem Planeten.
5. Hat Manuel Neuer persönlich Bayern-Fans geschlagen? Allein, weil er in seiner Jugend in der Kurve stand und Mitglied der Ultras war? Bezichtige ich jedes Schickeria-Mitglied persönlich an den oben erwähnten Attacken beteiligt gewesen zu sein? Verwehre ich all unseren Ultras ebenso wie Neuer das Recht, zu reflektieren und Einstellungen, Überzeugungen zu ändern?
6. Und selbst wenn Neuer immer noch ein Ultra ist – wie ginge dies mit einem Wechsel zum FC Bayern zusammen? Achso. Söldner ist er also auch noch. So wie Herr Gomez? Oder Herr Robben? Oder die Herren Lahm und Schweinsteiger, die ja nur aufgrund der schönen Landschaft und der guten Luft in München geblieben sind.
7. Ist Ultra zu sein, der einzig mögliche Lebensentwurf, wenn man sich für Fußball interessiert? Wie würde es wohl in diesem Land aussehen, wenn nur alle 10 Millionen Bayern-Fans sich ausschließlich mit Fußball, Groundhopping und Ultra-Choreos beschäftigen würden?
8. Hier finden Sie Platz für Ihre Notizen.
Um das noch einmal klar zum Ausdruck zu bringen: Ich respektiere die Ansichten von ultra-engagierten Fans. Ich war früher selber einer. Wenn man grob obige Maßstäbe anlegt.
Was mich allerdings mehr als stört sind die Alleinvertretungsansprüche, die ich immer und immer wieder aus dieser Ecke zu hören bekomme.
Hier geht es nicht um nicht wollen, sondern einfach oft auch um nicht können (Allesfahrer, Dauerkarte, etc.). Außerhalb der Ultra-Welt hat man für derlei Einschränkungen Verständnis.
Abschließend hoffe ich trotzdem, dass wir alle innerhalb der Bayern-Familie, ob Allesfahrer oder Logenbesitzer und Sky-Abonnent, irgendwann zusammen finden.
Zum Wohle des FC Bayern!
Denn der ist größer – ich muss es noch einmal erwähnen – als alles andere. Selbst wenn einige wenige dies immer noch anders sehen. Schade.